Römer 3,24-26


von Esther Keller-Stocker

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2. Übersetzung

Gerechtfertigt werden sie umsonst durch seine Gnade, durch die Erlösung in Christus Jesus. Ihn hat Gott öffentlich hingestellt als Sühneopfer- im Glauben - in seinem Blute; zum Erweis seiner Gerechtigkeit um der Vergebung der vergangenen Sünden willen, durch die Geduld Gottes: Zum Erweis seiner Gerechtigkeit in der jetzigen Zeit; damit er gerecht sei und den rechtfertigt, der an Jesus glaubt.

3. Exegese

In diesem Kapitel folge ich dem Römer-Kommentar von Ulrich Wilckens (6) Das zentrale Thema im Römerbrief ist die Gerechtigkeit Gottes". Paulus führt dieses Thema in Römer 1,17 ein:

Denn in ihr wird Gottes Gerechtigkeit kundgemacht - aufgrund des Glaubens für den Glauben, wie es in der Schrift steht: Wer aus Glauben gerecht ist, wird das Leben haben

Paulus eröffnet hier sein Thema mit der positiven Gott-Mensch-Beziehung als Kundgabe der Gerechtigkeit Gottes, die dem sündigen, aber gläubigen Menschen Gerechtigkeit schafft. Dabei zitiert er Habakuk 2,4 aus dem Alten Testament.

Bevor Paulus auf diese positive Beziehung weiter eingeht, erläutert er die negative Gott-Mensch-Beziehung unter dem Zorn Gottes. Der Zorn Gottes wird durch die Sünde des Menschen verursacht (Römer 1,18-3,20). Dabei sind alle Menschen, Juden wie Heiden, Sünder:

Alle haben gesündigt und gehen der Herrlichkeit Gottes verlustig" (Römer 3,21)

Heiden sind ungehorsam, weil sie die Schöpfung anbeten statt durch diese Gott erkennen. Die Juden tun dasselbe, spielen sich aber vor den Heiden als Richter und Lehrer auf. Ihren Mangel am Glauben kompensieren sie mit der Beschneidung, die ihnen ohne den Glauben aber nichts nützt (Röm. 2). Gott straft Unglaube mit Ungehorsamkeit, und dies ist gleichbedeutend mit sittlicher Zuchtlosigkeit (1,24.26-31). Paulus endet das Kapitel in 3,20b mit der Feststellung, dass es durch das Gesetz zur Erkenntnis der Sünde kommt " (3,20b).

In Römer 3,24 ist von Gerechtigkeit Gottes als neues Heilshandeln Gottes die Rede (7). Sie ist in der jetzigen Gegenwart offenbar, unabhängig vom Gesetz (V. 21), aber längst schon von der Heiligen Schrift bezeugt (3,21). An dieser Gerechtigkeit haben sowohl Juden wie Heiden teil aufgrund ihres Glaubens an Jesus Christus.

In Römer 1,3 stellt Paulus die Auferstehung Jesu Christi in den Vordergrund: Jesus ist der irdischen Abstammung nach aus dem davidischen Geschlecht. Seine Machtstellung erhält Jesus als Sohn Gottes aber kraft des Heiligen Geistes. Diese Gottessohnschaft besteht seit der Auferstehung Jesu von den Toten. Gegenüber der Auferstehung betont Paulus in Römer 3,24-26 das Opfer Jesu Christi, denn dieses ist für die Rechtfertigung des Menschen grundlegend. Um diese Idee zu betonen, zitiert er einen einen Satz aus einem judenchrstlichen Hymnus (V. 25):

ihn hat Gott öffentlich hingestellt als Sühne - ?? -
in seinem Blute, zum Erweis seiner Gerechtigkeit um der Vergebung der vergangenen Sünden willen durch die Geduld Gottes

Was nach "Sühne" gestanden hat, ist nicht mehr zu eruieren. Paulus hat anstelle des alten Wortes "im Glauben" hinzugefügt (8).

Dass Römer 3,25.26a ein Hymnusfragment ist, zeigt sich an den vielen präpositionalen Wendungen und am gehäuften unpaulinischen Wortschatz. Begriffe wie protithestai (öffentlich hinstellen, Hilasterion (Sühnedeckel) sowie wie Vorstellung von der "Vergebung der vergangenen Sünden" stammen aus der jüdischen Liturgie (9). Im Hymnusfragment bedeutet der Opfertod Jesu Christi die einmalige Vergebung vergangener Sünden, doch für Paulus manifestiert sich im Opfertod nicht die Vergebung von Sünden sondern eine neue Heilsphäre, in dem der sündige aber gläubige Mensch aufgenommen ist (V. 24.26b-c) (9). Ein weiterer traditionelle Begriff ist Apolutrosis (Erlösung) (V. 24) (10). In der Forschung ist es nicht eindeutig, ob die Aussage von der "Erlösung durch Jesus Christus" zum Hymnusfragment gehört oder paulinisch ist. Apolutrosis ist ein Synonym von Lutrosis (11) und geht auf die hellenistische Vorliebe für Komposita zurück. Apolutrosis wie Lutrosis bedeuten im hellenistischen Sprachgebrauch "Freilassung von Kriegsgefangenen oder Sklaven" und "von zum Tode verurteilte Verbrecher gegen ein Lösegeld freikaufen". In der Septuaginta, dem griechisch Alten Testament, kommt Apolutrosis nur in Dan. 4,34 vor und bedeutet Erlösung (12) Erlösung ist auch im Sinne Deuterojesajas zu versteht als Verhältnis Gott zu Israel: Gott ist der Erlöser seines Volkes, die Erlösung selbst ist freie Gnadentat Gottes. "Erlösung Israels aus der ägyptischen Knechtschaft" wird in der Septuaginta mit lutrosis wiedergegeben ebenso wie die "Erlösung der Sünden" in Ps. 129,8. Im Neuen Testament kommen beide Begriffe, Apolutrosis und Lutrosis, im Sinne von endgültiger Erlösung und Befreiung vor: "Der Mensch erwartet von Gott Erlösung als entscheidende endzeitliche Heilstat".

Zusammenfassend kommen in Hilasterion drei verschiedene Aspekte zusammen, es meint einmal den Ort des Geschehens, dann das Opfer und zugleich auch den Opferer. Die Ambivalenz von Opfer und Opferer ist im Neuen Testament im Hebräerbrief ausführlich gestaltet: Hier fällt "Opfer" und "Opferer" (Hohepriester) in Gestalt von Jesus Christus zusammen. Doch nun stellt sich die Frage, wem muss das Opfer für die neue göttliche Heilsordnung dargebracht werden? Nach den Erläuterungen von Römer 1-3 könnte man zum Schluss kommen, dass das Sühneopfer dem zürnenden Gott gilt. Doch diese Vorstellung, welche in der mittelalterlichen Scholastik von Anselm von Canterbury vertreten wurde, wird von Rudolf Bultmann als "germanischer Einfluss" abgelehnt. Heutige Exegeten verstehen deshalb Hilasterion abstrakt und übersetzen mit "Sühne", einem luftigen Begriff, als ob damit eine Antwort gegeben wäre.

Der wichtigste traditionelle Begriff in Römer 3,24-26 ist Hilasterion (13): Hilasterion ist substantiviertes Neutrum von hilasterios. Das Adjektiv bedeutet "zur Sühne gehörend". Hilasterion bedeutet "Sühnemittel, Sühnegabe, Sühneopfer, Sühnedenkmal" und allgemein "Sühne". In der Septuaginta wird der Sühnedeckel auf der Bundeslade, die Kapporeth, durchwegs mit to hilasterion übersetzt. Zur Zeit des Neuen Testaments befand sich aber weder die Bundeslade noch der Sühnedeckel im Allerheiligsten des Jerusalemer Tempels. Die Lade war seit der Zerstörung des 1. Jerusalemer Tempels 584 v. Chr. verschwunden. Doch in der Priesterschrift, die im babylonischen Exil entstanden war, wird am Versöhnungsritual an der Lade mit Sühnedeckel festgehalten. Auch Philo von Alexandria nennt die Deckplatte der Bundeslade hilasterion (Mang 1,56). In der hellenistisch-römischen Welt bezeichnet hilasterion eine der Gottheit dargebrachte Weihe- und Sühnegabe, meist in der Gestalt einer geweihten Stele (14).

Zusammenfassend kommen in Hilasterion drei verschiedene Aspekte zusammen, es meint einmal den Ort des Geschehens, dann das Opfer und zugleich auch den Opferer. Die Ambivalenz von Opfer und Opferer ist im Neuen Testament im Hebräerbrief ausführlich beschrieben: Hier fällt "Opfer" und "Opferer" (Hohepriester) in Gestalt von Jesus Christus zusammen. Nach den Erläuterungen von Römer 1-3 könnte man zum Schluss kommen, dass das Sühneopfer dem zürnenden Gott gilt. Doch diese Vorstellung, welche in der mittelalterlichen Scholastik von Anselm von Canterbury vertreten wurde, wird Rudolf Bultmann als "germanischer Einfluss" abgelehnt (15). Heutige Exegeten verstehen deshalb hilasterion abstrakt und übersetzen mit "Sühne".

Ihn hat Gott öffentlich hingestellt als Sühne (Römer 3,25a1)

Gott selber stellt das Sühneopfer auf - für die ganze Welt sichtbar. Es ist wie ein Aufatmen: Aller Welt ist diese göttliche Tat offenbar. Kompensatorisch dazu wird aber ein anderer Aspekt in die Verborgenheit gedrängt, die Lade unter dem Sühneopfer. Das Sühneopfer wirkt nun wie ein Kleid respektive wie eine Maske, hinter die man nicht mehr sehen darf. Nicht mehr sehen darf, welche Macht letztlich hinter der religiösen Vorstellung steht: Die Lade als Manifestation der Grossen Mutter. Der Einwand unserer Exegeten, die Bundeslade habe zur Zeit Christi gar nicht mehr existiert, ist nicht stichhaltig. Die Kapporeth hat es auch nicht gegeben! Es ist ein weiterer patriarchaler Versuch die Grosse Mutter zu verdrängen. Denn wenn in Römer 3,25 die Lade weg ist, heisst noch lange nicht, dass sie als Urmacht aus dem kollektiven Unbewussten verschwunden ist. Weg heisst hierengel rechts nur, "weg" aus dem Bewusstsein und deshalb bildet die Lade den unbewussten Mutterkomplex, den das patriarchale Ich-Bewusstsein bekämpft.

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Interpretation von Esther Keller
Text von 1985, letzte Revision im März 2013