Aufsätze zu einer ganzheitlichen Theologie

von Esther Keller-Stocker

Aufzug nach Jerusalem

Die Erzählung in Zweiter Samuel 6 handelt von den Ereignissen der Übernahme der Bundeslade von Baala Jehuda nach Jerusalem durch David. Die Bundeslade war das Heiligtum, das Ende des 2. Jahrtausends vor Chr. beduinische Stämme zum altisraelitischen Stammesverband einigte (1).

Die Vorgeschichte zur Übernahme der Lade nach Jerusalem ist in Erster Samuel 4,1 bis 7,2 beschrieben: In einer Schlacht gegen die Philister geht die Lade an den Feind über. Doch bei den Philistern richtet sie allerlei Schaden an. Deshalb wird sie von einer Stadt zur anderen gereicht. Zuletzt kommt sie wieder zurück und bleibt 20 Jahre lang in Kirjiat-Jearim. Kirjiat Jearim dürfte mit dem heutigen Dorf Abu Ghosch identisch sein. Das Dorf liegt 14 km von Jerusalem entfernt.

Im Erster Samuel wird auch der Aufstieg Davids beschrieben: David aus Bethlehem, dem Hauptort des Stammes Juda flieht vor Saul mit einem Heer Gesetzlosen, den Kreti und Pleti, in die Schefala und in das jüdische Gebirge. Der Philisterfürst Aschisch von Gath belehnt David mit dem Ort Ziklag. Von dort unternahm David verschiedene Raubzüge. Die Beute lässt er den südlichsten Siedlungen im Machtbereich Sauls zukommen, und hält sich so bei diesem in bester Erinnerung. Saul dagegen erlitt bei der Stadt Jesreel am Fusse des Gilboa gegen die Philister eine vernichtende Niederlage und verlor dabei auch sein Leben. Heute datiert man dieses Ereignis auf 1004 vor Chr. Sieben Jahre später wird David in Hebron zum König über die Südstämme, also über Juda, ausgerufen (II. Sam. 2). Bald darauf übergaben ihm auch die Nordstämme, d.h. Israel, ein vertraglich gesichertes Königtum. David herrscht nun seit ca. 997 v. Chr. in Personalunion als König über Juda und Israel. Dies ist den Philistern ein Dorn im Auge. Es kommt zum Kampf in der Refaimebene vor Jerusalem. David geht als Sieger hervor. Darauf erobert David die Stadt Jerusalem. Wichtig dabei ist, dass David Jerusalem nicht mit Angehörigen der Stammesverbänden einnimmt sondern mit seiner Privatarmee, den Kreti und Pleti. Jerusalem wird somit sein persönlicher Besitz. Ein weiterer Schachzug zu seiner persönlichen Macht ist die Übernahme der Bundeslade nach Jerusalem. Damit hat er das altisraelitische Heiligtum fest in der Hand, die israelitischen Stämme sind nun gezwungen, nach Jerusalem zu pilgern.

Diese Ereignisse sind im Ersten und Zweiten Buch Samuel aufgeschrieben und gelten heute als historische Grundlagen. Doch diese zwei Bücher sind erst 500 Jahre nach den Ereignissen aufgezeichnet worden und zwar von einer religiösen Schule, die sich zu Jahwe als dem einigen Gott bekannte. Zu welcher Zeit Jahwe erstmals als eigenständiger Gott in Erscheinung tritt, ist nicht klar. Der Prophet Elia jedenfalls kennt noch keinen Jahwe als einzigen Gott. Frühestens kommt die Zeit Hoseas (um 750 v. Chr.) in Frage, doch ist auch die Zeit der Reformation des König Josias von Jerusalem (620 v. Chr.) für die Alleinherrschaft Jahwes denkbar (4).

Die Ereignisse von der Übernahme der Bundeslade fanden also 500 Jahre vor deren Aufzeichnungen statt. Die Autoren hatten dabei ein bestimmtes Ziel, Jahwe als einzigen Gott in der Geschichte darstellen. Heute nennt man die Autoren Deuteronomisten. Sie lebten im 6. Jahrhundert vor Christus, als Jerusalem und der Tempel durch die Babylonier zerstört worden war (584 v. Chr.). Die Zerstörung des Tempels wurde als Strafgericht Gottes erfahren. Die Deuteronomisten suchten nun in ihrem Geschichtswerk, das die Bücher 5. Mose bis 2. Könige umfasst, aufzuzeigen, wie das Volk Israel und Juda die Treue Jahwes immer wieder verwarfen und sich so das göttlich Strafgericht auf sich zogen. Für die geschichtliche Darstellung verarbeiteten die Deuteronomisten alte Dokumente, die sie nach ihrem theologischen Konzept umgestalteten (5).

Aus solchen alten Dokumenten stammt auch II. Samuel 6. Sie schildert die Übernahme der Lade von Kirjat Jearim nach Jerusalem. Es könnte sich ursprünglich auch um eine Prozessionsfeier handeln, bei dem sich ein Unfall ereignete.

Der uns überlieferte Text geht auch davon aus, dass zur Zeit Davids in Jerusalem kein Tempel stand. Doch gilt es heute als sicher, dass bei der Eroberung Jerusalems bereits ein Tempel vorhanden war. Auch die Lade, die im Alten Testament stets als Aaron bezeichnet wird, ist mit Vorsicht zu interpretieren. Denn die Lade, wie wir sie kennen, ist ein literarisches Produkt aus der Priesterschrift, d.h. die Lade in der uns überlieferten Form ist nicht vor dem 6. Jahrhundert v. Chr. bekannt (6).

ZWEITER SAMUEL 6,1-10

DIE ORTSBEZEICHNUNG BAALA JEHUDA

Dann machte sich David auf und zog mit allem Volk, das bei ihm war, nach Baala in Judäa, um von dort die Lade Gottes heraufzuholen, die nach dem Herrn der Heerscharen benannt ist, der auf den Cheruben thront (V. 2)

Hier fallen 3 Objekte auf, die zur redaktionellen Arbeit gehören:

  1. Baala in Judäa
  2.  Lade Gottes
  3. Jahwe der Heerscharen,
    der auf den Cheruben thront.

Zu Punkt 1: In Erster Samuel 7,1 ist noch von Kirjiat Jearim die Rede. Baala in Juda wird mit dieser Stadt gleichgesetzt. Baala Jehuda soll nach Othmar Keel ursprünglich einfach "Bürger von Judäa" geheissen haben. Nach I. Chronik 13,6 heisst der Ort baalath jehuda, also Herrin, Göttin in Judäa. Auch Othmar Keel weist darauf hin, dass Baala weniger einen Ort meint als vielmehr das Heiligtum einer Göttin (7). Und dieses Heiligtum ist mit Aaron gleichzusetzen. Damit wird das Heiligtum der Göttin, wohl ein Bild, von Kirjat Jearim nach Jerusalem gebracht worden sein.

Zu Punkt 2: Die Lade Gottes wird immer als Aaron bezeichnet, z.B. Aaron Elohim (Gotteslade) oder Aaron Berith (Bundeslade). Aaron war ursprünglich eine weibliche Gottheit. Dies geht auch aus Erster Samuel 6 hervor. Dort wird sie von zwei einjährigen säugenden Kühen gezogen, die sie nach Beth Schemesch bringen. Ein männlicher Gott wurde im Alten Orient nie von Kühen, die noch Kälber säugten, herumgefahren oder mit Kühen gleichgesetzt (8). Der Name "Beth-Schemesch" bedeutet "Haus der Sonne". Schemesch kann einen männlicher Gott bedeuten, aber auch durchaus einen weibliche Gott, also eine Göttin.

Zu Punkt 3: In unserem Text (Zweiter Samuel 6,2) gilt die Lade als Besitz Jahwes. Hier trägt Jahwe den Titel: Jahwe der Heerscharen, der über den Keruben thront". Dieser Titel setzt die Keruben im Allerheiligsten im Jerusalemer Tempel voraus (I. Könige. 6,23ff.) und ist demnach jünger als die hier erzählte Geschichte (9). Gerade Zweiter Samuel 6,2 weist darauf hin, dass "Jahwe Zebaoth, der über den Keruben thront" ursprünglich zu Baalath in Juda gehörte und erst vom Redaktor dem Jahwe übertragen wurde.

DIE BUNDESLADE UND DIE KÜHE

Und sie setzten die Lade Gottes auf einen neuen Wagen und führten sie so hinweg aus dem Hause Abinadabs, das auf den Hügel stand. Ussa und Ahjo, die Söhne Abinadabs, leiteten den Wagen. Ussa schritt neben der Lade Gottes her, während Ahjo vor der Lade her ging. (Zweiter Samuel 6,3-4).

Der Wagen mit dem Rind kennen wir schon aus Erster Samuel 6. Doch im Unterschied zu hier werden in Erster Samuel 6 ausdrücklich zwei säugende Kühe erwähnt. Dann folgt die Erzählung eines tödlichen Unfalls:

Als sie zur Tenne des Nachons kamen, streckte Ussa (seine Hand) nach der Gotteslade aus und fasste sie an, denn das Rind scheute. Da entbrannte der Zorn Jahwes gegen Ussa, und Elohim schlug ihn dort wegen der Vermessenheit; so dass er dort bei der Gotteslade starb (II. Samuel 6,6-7).

Hier ist nicht mehr von säugenden Kühe die Rede sondern ganz unauffällig von zwei Rindern.

Zweiter Samuel 6,3 nimmt mit der Erwähnung des "neuen" Wagens deutlich Bezug auf die Verbrennung des Wagens in Erster Samuel 6,14. Der (neue) Wagen in Zweiter Samuel 6,3 wird mit eglah bezeichnet. Eglah kann auch Jungkuh heissen, sodass in unserem Text eine Ambivalenz zwischen neuem Wagen und Jungkuh besteht. Der Autor hat in Zweiter Samuel 6,6 bewusst die beiden Jungkühe verdrängt, die in Erster Samuel 6 erwähnt sind. Von daher ist auch die Einsilbigkeit um das strauchelnde Rind zu verstehen, das der Priester Ussa aufhalten will.

DER NAME USSA

Auffallend ist der Name Ussa. Der Begriff Ussa ist die weibliche Form von az und bedeutet "mächtig", "erhaben".

Psalm: die Lade als "mächtige Lade" bezeichnet

Uns ist der Name Uzza aus der altarabischen Welt bekannt. Dort existierte die Göttin Al-Ussa.  Al-Uzza ist Beiname und bedeutet die Mächtigste oder die Erhabenste. Bei den alten Arabern war Al-Ussa die Hauptgöttin. Noch in nachchristlicher Zeit nahm sie in Nordarabien neben dem Hauptgott Allah den ersten Rang ein. Joseph Henninger weist darauf hin, dass ihre Existenz zurückreicht bis in die Assyrerzeit. Somit ist Al-Ussa auch die älteste bezeugte arabische Gottheit (10).

Die Assyrer setzten sich vor allem im 8. Jahrhundert v. Chr. mit den Arabern auseinander (11), also zur selben Zeit, als in Israel die ersten Geschichtsentwürfe im Alten Testament entstanden.

 

DER FRUCHTBARKEITSKULT

DAVID TANZT VOR DER LADE

Zweimal wird in Zweiter Samuel ein Freudenfest erwähnt. In Vers 5 heisst es:

Und David und das ganze Haus Israel tanzten vor Jahwe mit verschiedenen Hölzern vom Wacholder und Gesängen, mit Leiern, Lauten, Handpauken, Rasseln und Becken.

"Mit aller Kraft" ist eine Verlegenheitsübersetzung, denn hebräisch steht becol ase beroschim, was "mit allen Wacholderblumen" heisst. "Mit allen Wacholderblumen" macht für unsere alttestamentlichen Exegeten keinen Sinn. Ich frage mich, ob es sich hier nicht um Phallushölzer handeln kann, die der deuteronomistische Autor ins Groteske überdreht, um die Situation ad absurdum zu führen.

David tanzt vor der Lade

Othmar Keel: Die Welt der altorientalischen Bildsymbolik und das Alte Testament, S. 154: Es zeigt Männer mit Holzstäbe und im Hintergrund den achteckigen Stern, den Stern der Liebesgöttin Isthar.

Beim zweiten Aufzug der Lade nach Jerusalem heisst es ebenfalls:

Und David tanzte fortwährend mit aller Kraft vor Jahwe her, dabei war David mit einem linnen Ephod gegürtet (V. 14)

Statt Wacholderblumen heisst es nun "mit aller Kraft vor Jahwe" (becol az). Az erinnert an Ussa. Und David tanzt nur mit einem Lendenschürzchen (Ephod) angetan vor Jahwe. Da Jahwe hier  die Lade vertritt, tanzt David offensichtlich vor einer weiblichen Gottheit, vor Ussa, der Mächtigen. Da sein Schürzchen sein Geschlechtsteil kaum verbirgt, hat er sie mit dem Tanz eindeutig zum Geschlechtsverkehr aufgefordert. Er tritt als Gott Baal auf, als Repräsentant des Regen- und Sturmgottes. Darauf weist auch sein Name David. Denn die Konsonanten d-w-d können auch als Dod gelesen werden, was "Liebling der Göttin" heisst. Und der Liebling der Göttin war nach W. Wittekindt der Gott Baal.

DAS ZELT DER LADE IN JERUSALEM IM VERGLEICH ZUM ZELT DER LADE IN SILO

Für die Lade soll David in Jerusalem ein Zelt aufgestellt haben (II. Sam. 6,17). Dass die Lade in einem Zelt aufgestellt war, ist im Alten Testament mehrmals belegt und soll nach dem Redaktor an die Zeit der Wüstenwanderung erinnern. In Erster Samuel 2,22 befindet sich die Lade ebenfalls in einem Zelt und zwar in Silo. Dort sassen Frauen am Eingang des Zeltes, die "ihren Dienst" taten. Um was für einen Dienst es sich hier handelte, wird nicht gesagt. Nach unseren Exegeten kann es sich hier höchstens um Handlanger-Dienste, Putzfrauen-Arbeit, gehandelt haben. Doch schauen wir Erster Samuel 2,22 genauer an: Zu den Frauen am Zelteingang werden auch die Söhne des amtierenden Priesters Eli genannt. Ihnen wird vorgeworfen, sie haben mit diesen Frauen geschlafen.

Eli war sehr alt geworden. Wenn er nun hörte, was alles seine Söhne an ganz Israel taten, und dass sie bei den Frauen schliefen, die am Eingang des Heiligen Zeltes Dienst taten, ...(I. Sam. 2,22)

Im Gegensatz zu unseren heutigen alttestamentlichen Exegeten halte ich die Frauen am Eingang eher für Kultprostituierte und die Vereinigung der Priestersöhne mit diesen Frauen um offiziellen Kultprostitution, die der deuteronomistische Redaktion nun als persönliches Vergehen der Söhne Elis beschreibt. Doch die Geschichte in Erster Samuel 2 dreht sich um die kinderlose Hannah. Sie fleht vor der Lade Gott an, ihr einen Sohn zu schenken. Der Priester Eli kommt. In der Meinung, sie stehe unter Alkoholeinfluss, schilt er sie. Als sie ihm ihr Leid klagte, segnete er sie und verheisst ihr einen Sohn - und siehe da, neun Monate später gebiert sie ihren Sohn. Der Sohn heisst in der jetzigen Version Samuel, doch ursprünglich soll er Saul geheissen haben.

Es ist eigentlich nicht schwer, unter dem moralisierenden Duktus des Redaktors in der Erzählung von Hannah und Eli eine geschlechtliche Vereinigung zu erkennen. Auf diese weisen auch die Namen der beiden: Eli heisst "mein Gott" und Hannah erinnert an den Namen der hethitischen Muttergöttin Hannahhannah ("die erhabene Göttin"). Im Hebräischen leitet sich der Name Hannah von hen (Gunst, Anmut) ab. Hen ist Attribut der Grossen Göttin.

Der Autor, derselbe wie in Zweiter Samuel 6, sucht die Gestalt Samuel durch eine besondere Geburt hervorzuheben und greift dabei auf ein altes kultisches Ritual der Heiligen Hochzeit. Dabei geriet er in ein moralisches und theologisches Dilemma, denn seit den Propheten war dieser Ritus tabu. Es gibt noch andere Stellen, die dieses Ritual beschreiben, vom Deuteronomisten und von seinem jüngeren Kollegen, dem Jahwisten, in ein moralisch integres Bild gepresst wurde, zum Beispiel die Verheissung an Sarah (Genesis 18) oder die Verheissung der Geburt Simsons (Richter 13).

DIE RINGBROTE (II. SAMUEL 6,19)

Nach den bisherigen Ergebnisse, Ussa und der nackt tanzende David ist es nicht schwer, auch den Einzug der Lade in Jerusalem als kultisches Fruchtbarkeitsritual, als Ritual der Heiligen Hochzeit zu verstehen. Ein weiteres Indiz ist die Erwähnung der Ringbrote (chalath lchm). Dieses Ringbrot wird in der Zürcher Bibel mit dem undefinierbaren Begriff "Brotkuchen" übersetzt. Doch chalath leitet sich von chll ab, was vor allem "durchbohren" heisst, also ein "durchbohrtes Brot". Chll heisst auch "verstossen, getötet und defloriert werden". Und dafür steht das Ringbrot als Symbol einer Göttin für die Heilige Hochzeit. Von da her bekommen auch die Wacholderhölzer ihren Sinn. Das Wacholderholz und das Ringbrot symbolisieren den Geschlechtsakt, den David und mit ihm das ganze Volk vollzogen haben.

David tanzt vor der Lade

Othmar Keel, Die Welt der altorientalischen Bildsymbolik und das Alte Testament, S. 153: Hier sitzt der mesopotamische König mit Ring und Stab als Ausdruck seiner Macht auf dem Thron. Vor ihm ist der achteckige Stern der Isthar aufgestellt.

In Zweiter Samuel 6,19 ist auch von "Traubenkuchen" die Rede, die David unter dem Volk verteilt. Denken wir doch an Jeremia 7,18. Dort protestiert Jeremia gegen die Frauen, die in Jerusalem der Himmelsgöttin Teig für ihre Kuchen machte.

Zweiter Samuel 6,1-19 zeigt einen Fruchtbarkeitskult mit zwei Komponenten, einer orgiastischen Feier und einem Opfer. Zum Opfer kommen wir noch. Mircea Eliade zeigt in "die Religionen und das Heilige", dass orgiastische Feier und Opfer die beiden typischen Komponenten archaischer Fruchtbarkeitsriten sind. Zu den Massenorgien der Naturvölker schreibt Mircea Eliade:

Immer zeigt sich dasselbe Bedürfnis des archaischen Menschen, alles "gemeinsam" zu tun, "zusammen zu sein". Das Paar, das die Macht oder den Genius der Vegetation verkörpert, ist selbst ein Energiezentrum und fähig, die Kräfte des Wirkenden, das es repräsentiert, zu vermehren. Die magische Kraft der Vegetation wächst schon durch die einfache Tatsache, dass sie durch ein junges Paar auf dem Höhepunkt seiner erotischen Möglichkeiten - und sogar Wirklichkeiten - "repräsentiert", personifiziert wird. Dieses Paar, "der Bräutigam" und "die Braut", ist nur ein allegorisches Abbild dessen, was sich einst in Wirklichkeit zugetragen hat, die Wiederholung der uranfänglichen Handlung, der Hierosgamie. (Die Religionen und das Heilige, S. 411f)

Nun betrachten wir das Opfer genauer:

 

DAS MENSCHENOPFER

DIE TENNE NACHONS (II. SAMUEL 6,6-7)

Als sie zur Tenne des Nachons kamen, streckte Ussa (seine Hand) nach der Gotteslade aus und fasste sie an, denn das Rind scheute. Da entbrannte der Zorn Jahwes gegen Ussa, und Elohim schlug ihn dort wegen der Vermessenheit; so dass er dort bei der Gotteslade starb.

"Als sie zur Tenne des Nachons kamen" erscheint im Text wie ein zufälliger Ort, an dem sich der Unfall ereignete, war nach N. H. Tur-Sinai eher ein Kultort. Der Begriff nachon von nkh abzuleiten. Nkh bedeutet als Subjekt "Stoss" und als Verb "schlagen, totschlagen". Der Tod des Priesters, den wir mit dem Namen Ussa überliefert ist, dufte ursprünglich ein kultisches Menschenopfer gewesen sein.

Im Zusammenhang der Lade ist auch in Erster Samuel 6,19 von Todesopfern die Rede. Dort tötete Jahwe die Söhne des Jechonja "mit einem grossen Schlag". Der Text ist an dieser Stelle verderbt und deshalb ergänzt die Zürcher Bibel nach dem griechischen Alten Testament wie folgt:

Die Söhne des Jechonja hatten sich nicht mitgefreut unter den Leuten von Beth-Semes, als sie ihre Lust sahen an der Lade Jahwes; da erschlug er unter ihnen siebzig Mann. Das Volk trug Leid, weil Jahwe so viele geschlagen hatte (Erster Samuel 6,19).

"Die Lust der Leute an der Lade?" beschreibt die Massenorgie archaischer Fruchtbarkeitsriten. Und die Lade vertritt wie in Zweiter Samuel 6 eine Liebesgöttin. Mircea Eliade bestätigt, dass solche Menschenopfer in frühen Zivilisationen praktiziert wurden, besonders auch in Palästina und Syrien:

Wahrscheinlich haben sich all diese Ackerbauzeremonien von bestimmten Zentren (Ägypten, Syrien, Mesopotamien) über einen grossen Teil der ganzen Welt ausgebreitet, wobei viele Völker sich nur Bruchstücke der ursprünglichen Handlung zu eigen machten (Mircea Eliade, Die Religionen und das Heilige, S. 396).

PRZ Ussa (II. SAMUEL 6,8)

Nun wurde David zornig, weil Jahwe Ussa niedergerissen hatte.
Und man nannte jenen Ort Perez Ussa bis zum heutigen Tag. (V. 8)

David nannte den Ort des Unfalls "Prz Ussa" (der Riss der Ussa). Perez bedeutet Riss, Spalte, Bresche. Wenn man an die unzähligen Darstellungen der altorientalischen Fruchtbarkeitsgöttin mit betonten Geschlechtsdreieck denkt, ist die Bresche, die Jahwe am Priester vollzog als Todeshochzeit zu verstehen. Das hier anklingende Motiv, die Erich Neumann "die Todeshochzeit" nennt, ist auch sonst im Alten Testament und vor allem bei den Propheten bestens bekannt. Bei ihnen sucht der zürnende Jahwe sein Volk Israel zu töten oder die Stadt Jerusalem zu zerstören und zu verwüsten. "Israel" und "Jerusalem" werden symbolisch als Frauen dargestellt, die Jahwe gehren. Er sucht immer wieder moralische Fehlverhalten, um sein Volk Israel oder seine Stadt Jerusalem zu vernichten. Es ist, wie wenn eine archaische Gottheit in Gestalt der glühende Sommerhitze ausbricht und entsprechend seiner Natur die Umgebung verwüstet. Doch die Naturgewalt der verdorrenden Sommerhitze ist als Bild seelischer Befindlichkeit nicht nur ein alttestamentliches Problem, sondern erfasste die psychische Struktur aller altorientalischen Staaten, die schwächere Staaten immer wieder mit äusserster Brutalität unterwerfen. Die alttestamentlichen Propheten sahen die übergriffe anderer Staaten auf Israel und Judäa als Strafe Jahwes für die Fehltritte seines Volkes. Die archetypische Konstellation, die sich aus der Erfahrung des glühenden Sommerhitze entwickelte, wird in Jahwe nicht mehr als periodisches Naturereignis erfahren sondern in geschichtlicher Folgerichtigkeit moralischen respektive unmoralischen Verhaltens eines Volkes.

Mit dieser archetypischen Struktur wird auch etwas geistig Neues dargestellt. Karl Jaspers nennt dies "die Achsenzeit". In der Achsenzeit erscheint der neue Mensch, der Mensch, wie wir es noch sind. Die Gestalt Jahwe als das rachsüchtiges, alles vereinnahmendes Phänomen entspricht dem neuen in der Achsenzeit sich konstellierenden Ich-Bewusstsein, das Volk Israel dem alten noch in der mütterlichen Geborgenheit eingebetteten Bewusstsein.

DAS SCHLAGEN AUF DEN FELSEN, DAS SCHLAGEN AUF DAS SCHILFMEER

Wenn Jahwe als männlicher Gott in einem Fruchtbarkeitsritual Ussa einen Riss schlägt, schlägt uns männliche Aggression und Gewalt entgegen. Ussa, die Mächtige, die Erhabene wird von Jahwe entthront, auf den Boden geworden und zu Tode vergewaltigt - ein Motiv, das im Alten Testament häufig vorkommt. Ein schönes Beispiel dafür ist Richter 19. Das Motiv spiegelt sich auch in der Metapher von Jerusalem (Judäa, Israel) als Ehefrau, die durch Jahwe gedemütigt wird.

Doch gibt es im Alten Testament auch Mädchen- und Frauenopfer, die mit einem beduinischen Wasserritual zusammenhängen. Im Alten Testament tragen sie den theologischen Duktus exilischer Geschichtsschreiüber, so zum Beispiel im Motiv "Mose schlägt auf den Felsen". In IV. Mose 20 stirbt zunächst Mirjam (= die Widerspenstige) und wurde begraben (V. 1). Dieses Ereignis steht am Anfang einer Erzählung, wonach Mose im Auftrag Jahwes rituellen mit dem Stab auf den Felsen schlagen soll (V. 8), damit Wasser aus dem Felsen ströme (V. 11). Bei diesem Ritual sagt Mose zu der versammelten Gemeinde:

Hört doch ihr Widerspenstigen (mrh)!
Knnen wir etwa aus diesem Felsen Wasser für euch herauskommen lassen?
Und Mose erhob seine Hand und schlug mit seinem Stabe zweimal auf den Felsen. Da strömte Wasser in Fälle heraus, sodass die Gemeinde und ihr Vieh zu trinken hatten. (IV. Mose 20,10f.)

Mir scheint eine enge Beziehung zwischen Mirjam (= Widerspenstige" und die Anrede des Volkes durch Mose als "ihr Widerspenstigen" zu bestehen. In der ursprünglichen Version suchten Menschen nach Wasser und in der Not wird ein Mädchen einem Dämon ausgeliefert, der sie gewaltsam "mit dem Stab öffnet". Daran stirbt das Mädchen. Aussergewöhnlich scheint die ursprüngliche Erzählung gewesen zu sein, denn das Mädchen hat sich gewehrt.

Ich denke, hier ist das alttestamentliche Motiv von Jahwe und sein Volk als Ehepartner zu suchen. Ein von Zorn glühender Gott, Jahwe, und sein angeblich widerspenstiges Volk, Israel geht zurück auf Beduinen, die im Sommer kein Wasser finden und in ihrer Not dem Wüstendämon ein Mädchen opfert, um diesen zu beschwichtigen. Dieses Beschwichtigen hat ein stark erotischer Akzent, denn ein von Zorn glühender Gott hat in erster Linie ein sexuelles Problem.

Dass das Motiv "mit dem Stab auf den Felsen schlagen" hier im Zusammenhang einer Heiligen Hochzeit stattfand, ist ebenfalls aus IV. Mose 20,6 herauszulesen.

Da gingen Mose und Aaron von der Gemeinde weg an den Eingang des Heiligen Zeltes und warfen sich auf ihr Angesicht; und es erschien ihnen die Herrlichkeit Gottes.

Hier gingen Mose und Aaron alleine ins Heilige Zelt - Was machen die beiden da? Das hat sich auch ein Aaron-Forscher wie Heinrich Valentin gefragt. Die Frage bleibt unbeantwortet.

In der Interpretation zu Römer 3,24-26 habe ich gezeigt, dass Aaron ursprünglich eine Göttin war. Somit dürfte in IV. Mose 20,6 hinter dem puritanischen Duktus noch eine Heilige Hochzeit hervorzuschimmern genau so wie in I. Samuel 1: Dort trafen sich Hannah und Eli im Zelt vor der Lade. In unserem Text, II. Samuel 6,17 lässt David die Lade nach dem zweiten Aufzug nach Jerusalem in das Heilige Zelt stellen. Da er vorher mit entblösstem Unterleib vor der Lade tanzte, ist der Vollzug der Heiligen Hochzeit im Zelt offensichtlich.

ERGEBNIS ZUM TÖDLICHEN UNFALL DES PRIESTERS Ussa

Die Notiz vom tödlichen Unfall des Priesters Uzzas ist zwiespältig, denn einerseits geht der tödliche Unfall von der Lade und somit von der Göttin Ussa aus, das andere Mal erscheint das tödliche Ereignis als Strafe Jahwes, weil der Priester unerlaubterweise die Göttin überhört hat. Weiter ist nicht klar, ob hier tatschlich ein Mann verunfallte oder vielleicht eher ein Mädchen, welches die Göttin bei der Heiligen Hochzeit repräsentierte.

Der Begriff nachon lässt eher auf eine rituelle Tötung als auf einen Unfall schliessen. Handelt es sich um ein Opfer für die Göttin, so können wir eine Parallele zum Ersten Samuel 6,19 ziehen: Dort wird der Lade (aaron) beim Begehen des Fruchtbarkeitskultes Menschen- genauer Männeropfer dargebracht. Diese Art Opfer kennen wir von der Artemis im Alten Griechenland. Ihr mussten Gefangene geopfert werden, damit deren Blut ihre Fruchtbarkeit garantiert.

David tanzt vor der Lade

Aber auch einem männlichen Gott werden männliche Opfer dargebracht. So verschwand Baal auf Geheiss des Wüstengottes Mot im Frühling in die Unterwelt, während Mot regierte. Die Göttin Anat sucht nach Baal, schlachtet im Zorn Mot ab und befreit Baal. Dies findet im Herbst statt, wenn in Palästina der Regen fällt, das heisst, wenn der Gewittergott Baal wieder da ist. Diese Periode wird in Fruchtbarkeitsriten begangen. Und an eine solche Begehung erinnert auch unsere Erzählung: Die Lade, die von einem Ort zum anderen getragen wird, entspricht der suchenden Anat. Am kultischen Ort, der Tenne Nachons, kommt der Repräsentant des Wüstengottes Mots um. Und darauf feiert das Volk den wieder erschienene Baal. Die in unserem Text (II. Sam 6,3) erwähnten "Wacholderstäbe" würden als Ausdruck männlicher Kraft gut zum Keulen schwingenden Baal passen, der im 1. Jahrtausend v. Chr. die Tötung Mots übernahm.

Wenn der Priester Ussa ursprünglich ein Mädchen war, welche die Liebesgöttin repräsentierte, weist der tödliche Unfall auf einen beduinischen Wasserzauber hin, bei dem ein Mädchen dem Wüstendämon geopfert wurde.

* * * *

Die Erzählung wie sie uns überliefert ist, stellt den Übergang des kollektiven Ich-Bewusstseins aus der mütterlichen Geborgenheit heraus dar. Der zornige Jahwes ist losgelöst von seinem mythisch-magischen Hintergrund. Sein Zorn ist gerichtet, heraus aus der mütterlichen Geborgenheit und leitet damit eine neue psychische Konstellation ein, das Ich-Bewusstsein des neuen Menschen. Demgegenüber manifestiert sich das alte Bewusstsein in der Geborgenheit der Grossen Mutter als Volk Israels und auf dieses alte Bewusstsein wird der Schatten des neuen Ich-Bewusstseins projiziert und verurteilt.

In unserem Text nimmt David eine Mittelrolle zwischen altem und neuem Menschen ein: Im orgiastischen ist er noch der alte Mensch, doch sein Hadern gegen Jahwe macht ihn Jahwe gleich und repräsentiert das neue Ich-Bewusstsein.

 

DIE VERDRÄNGUNG DES WEIBLICHEN

VOM KUHOPFER ZUM RINDOPFER

Im allgemein gaben sich die Autoren der alttestamentlichen Geschichtsbüchern alle Mühe, Frauen und allgemein das Weibliche aus ihren Texten zu verdrängen. In unserem Text zeigt sich dies anhand des Rindes, welches die Lade zieht (Zweiter Samuel 6,6). In Erster Samuel 6 sind es ausdrücklich zwei Kühe, die die Lade zogen.

Eine ähnliche Diskrepanz ist in den Angaben der Opfertiere zu erkennen. Nach Erster Samuel 6,14 werden die erwähnten zwei Kühe vor der Lade geopfert. In Zweiter Samuel 6,12 ist zunächst von einem Stier- und einem Kalbopfer die Rede, dann allgemein von Brand- und Schlussopfer (V. 18). Zur Geschichte der Lade gehrt auch I. Könige 8. In dieser Erzählung lässt König Salomo die Lade ins Allerheiligste des Jerusalemer Tempels bringen. Dabei soll er eine Unmenge von Tieropfern dargebracht haben.

Die Angabe dieser Unmenge von Schlachtopfern bei der Überführung der Lade in den Jerusalemer Tempel erscheint wie eine Kompensation zum wahren Opfer, die zwei Kühe, wie ein Unbehagen, das schlechte Gewissen, das aus zwei Opfer eine Unzahl von Opfern macht.

DER PRIESTER Ussa

Beim Unfall auf der Tenne Nachons soll der Priester Ussa wegen dem scheuenden Rind zu Tode gerissen worden sein. Die Katastrophe wird als Strafe Gottes interpretiert. Gott wird mit elohim bezeichnet. Die Strafe Gottes liegt demnach in der Schwebe, denn einerseits kann elohim die Gottheit der Lade, die Ussa, meinen oder Jahwe. Erst im folgenden ist wieder ausdrücklich von Jahwe die Rede. Das Verbot selber bezieht sich auf IV. Mose 4,15:

Wenn nun beim Aufbruch des Lagers Aaron und seine Söhne mit der Einhüllung der heiligen Gegenstände und aller heiligen Gerte fertig sind, dann sollen die Kahathiter kommen, um es wegzutragen; doch sollen sie das Heilige nicht anrühren, sonst müssen sie sterben.

Der Hinweis in IV. Mose 4,15 gehrt in den Priesterkodex, der aus dem 5. Jahrhundert v. Chr. im babylonischen Exil entstanden ist. Somit kann das Motiv "Elohim schlug ihn dort wegen der Vermessenheit", nämlich dass der Priester die Lade berührt hat, nicht alt sein.

Andererseits steht das Verbot, die Lade zu berühren respektive zu tragen in einem eigenartigen Kontrast zu den Priestern, die im Alten Testament die Aufgabe hatten, die Lade zu tragen. Das Tragen der Lade wird im Hebräischen mit nsa bezeichnet. Und nsa kommt auch in unserem Text vor.

Und sie führten die Gotteslade auf einem neuen Karren mit und holten (nsa) sie so aus dem Hause Abinadabs auf dem Hügel (Zweiter Samuel 6,3)

Also mindestens eine Person musste die Lade aus dem Haus getragen haben, und wer wäre dafür besser geeignet gewesen als der Ladepriester Ussa. Fazit: Das Verbot, die Lade zu berühren, ist also sekundär als Begründung für die Katastrophe eingefügt worden. Wie oben beschrieben, dürfte die Katastrophe ursprünglich im orgiastischen Kontext ein rituelles Menschenopfer gemeint haben. Und im Vergleich zu Erster Samuel 6,19 dürfte das Menschenopfer eher der Lade gegolten haben.

DIE LADE IM VERGLEICH MIT ALTARABISCHEN HEILIGTMER

Die Lade wird häufig mit den Heiligtümer altarabischer Stämme verglichen. Dieses altarabische Heiligtum war eine Kiste oder ein Damensattel. In Ägypten zum Beispiel nannte man eine solche Kiste machmal. Sie wurde in grossen Prozessionen mitgeführt. Julian Morgenstern berichtet ausführlich, dass das machmal der ägyptischen Katzengöttin Bastet geweiht war. In der vorislamischen Zeit sass während der Prozession eine ältere, kaum bekleidete Frau mit fünf oder sechs Katzen in diesem Behälter. Im patriarchalen Islam wurde die Frau durch einen älteren Mann ersetzt.

Bei altarabischen Beduinen wurde das Heiligtum auch in die Entscheidungsschlacht mitgenommen. Eine solche Situation kennen wir ja auch zwischen den Israeliten und den Philistern (Erster Samuel 4). Bei den altarabischen Beduinen sass während der Entscheidungsschlacht die (Haupt-)Frau des Fürsten oder eine seiner Tochter leicht bekleidet, manchmal sogar nackt, in diesem Behälter, um die Stammessöhne zum Kampfe anzufeuern. Doch durfte die Frau im Heiligtum nicht berührt werden. Dies war für Feind und Freund ein absolutes Tabu.

In unserem Text Zweiter Samuel 6 könnte ebenfalls eine Frau oder ein Mädchen der Lade gesessen haben. Der Aufzug nach Jerusalem geschah ja nach dem Krieg Davids gegen die Philister (II. Samuel 5). Sie wäre, nimmt man die altarabische Vorstellung zu Hilfe, für die Männer unberührbar ausser für den Besitzer der Stadt, König David.

Ist in Zweiter Samuel 6,6 wirklich eine Katastrophe beschrieben, so könnte ein begleitender Priester das "Lademädchen" vor dem Sturz aufgehalten haben und ist dabei gestorben. Dies wurde dann als Strafe der Göttin aufgefasst. In der jetzigen Version ist die Strafe zunächst in der Schwebe und dann eindeutig als Strafe Jahwes interpretiert.

 

ZWEITE SAMUEL 6,11-19

ODED-EDOM AUS GATH

Und so blieb die Lade Jahwes drei Monate im Hause Obed Edom aus Gath, und Jahwe segnete den Obed-Edom und sein ganzes Haus. Und man meldete dem König David: "Jahwe segnet das Haus des Obed-Edom und alles, was ihm gehrt, um der Gottesladen willen. Da ging David und brachte die Gotteslade aus dem Haus des Obed-Edom unter Festjubel in die Davidsstadt hinaus. (Zweiter Samuel 6,11-12)

Gath war zu jener Zeit ein Stadtstaat der Philister. Und bevor David König von Israel wurde, war er Vasall unter dem Fürsten Achis von Gath (Erster Samuel 27). Dazu war es gekommen, weil Saul unter den Ephod- und Ladepriestern ein Massaker veranlasst hatte. Aus diesem Massaker war nur Abjathar mit dem Ephod entkommen. Abjathar war ein Sohn Abinadabs, in dessen Haus nach Erster Samuel 7,1f. die Lade aufbewahrt worden sei. David nahm den flüchtenden Abjathar mit dem Ephod unter seinen persönlichen Schutz. Auf einer langwierigen Flucht vor König Saul kamen sie zum Philisterkönig Achis von Gath, bei dem sich David als Vasall anerbot.

EXKURS: DAS EPHOD

Das Ephod ist im Priesterkodex ein Teil des hohepriesterlichen Ornats, an dem die Brusttasche mit den Orakelgegenständen Urim und Thummim, befestigt waren. Im Richterbuch bezeichnet das Ephod ein gegossenes Götterbild (Richter 8,27; 17; vgl. auch Jesaja 30,22). In den Samuelbücher wird das Ephod aber als Bezeichnung eines Tuches gebraucht. Dieses Tuch steht in enger Beziehung zur Lade. In Erster Samuel 14 trug Priester Ahia das Ephod und die Lade mit in den Krieg:

......und Ahia, der Sohn Ahitubs, des Bruders Ikabods, des Sohnes des Pinehas, des Sohnes Elis, des Priesters Jahwes zu Silo, trug das Ephod (V. 3).

Etwas später ist derselbe Priester Träger der Lade:

Nun sprach Saul zu Ahia: Bringe die Lade Gottes herzu! Denn er trug damals die Lade vor Israel (I. Sam. 14,18)

Hier zeigt sich, dass König Saul der Besitzer des Ephods und der Lade ist. Das Ephod im Sinne eines Tuches scheint am ehesten ein Banner gewesen zu sein, dessen Besitzer auch Besitzer der Lade war. Achis von Gath htte dann als Schirmherr des Ephods auch Anspruch auf Israel gehabt. Da andererseits Saul immer noch am Leben war, wer dieser Anspruch von politischer Brisanz gewesen. Wie dem auch sei, es kam zwischen den Philistern und Israel zur Schlacht bei Gilboa (Erster Samuel 29), wobei Saul sein Leben verlor. Die Philister gingen als Sieger aus dieser Schlacht hervor, und damit wre der Philisterfürst von Gath legitimer Nachfolger Sauls geworden. Doch David liess sich zu dieser Zeit zum König über Judäa und Israel ausrufen. Es kam wieder zum Krieg, nun aber zwischen der Elitetruppen Davids und den Philistern. In der Schlacht bei Baal-Perazim wurden die Philister vernichtend geschlagen (Zweiter Samuel 5,20).

Wieso kam die Lade nach der Katastrophe zu Obed-Edom von Gath? War er ein Sohn von Achis von Gath, welcher einst David als Vasallenfürsten einsetzte?

Da die Lade als Kriegsheiligtum der Israeliten in Erster Samuel 6 als Beute zu den Philistern kam, stellt sich in Zweiter Samuel 6 die Frage, ob mit der Übergabe der Lade an Obed-Edom aus Gath, der Sieg Davids über die Philister durch die Katastrophe kultisch in Frage gestellt wurde. Erst als die Lade im Hause Obed-Edom von Gath Gutes wirkte, liess sie David wieder holen. Hinter diesem Motiv dürfte der Gedanke stehen, dass ein besiegter Philister oder ein ebenfalls von David besiegter Edomiter als offizielles Opfer für die Gottheit ausgesucht wurde. Doch die Gottheit, die sich in der "Lade" repräsentiert, liess es dem Opfer gut gehen. Dies wurde als Zeichen gedeutet, dass die Gottheit den Sieg Davids über die Philister und Edoms bestätigte.

In Zweiter Samuel 6,14 tanzt David, nachdem man die Lade bei Obed-Edom abholte, nur mit dem Ephod bekleidet vor der Lade. Er versteht sich also als Besitzer der Lade.

UND JAHWE SEGNETE NN UND SEIN GANZES HAUS

Auffällig in II. Samuel 6,11f. ist die Formulierung

Und so blieb die Lade Jahwes drei Monate im Hause Obed Edom aus Gath, und Jahwe segnete den Obed-Edom und sein ganzes Haus. Und man meldete dem König David: "Jahwe segnet das Haus des Obed-Edom und alles, was ihm gehrt, um der Gottesladen willen. Da ging David und brachte die Gotteslade aus dem Haus des Obed-Edom unter Festjubel in die Davidsstadt hinaus.

Auch dem Abram in Genesis 12 verschaffte Jahwe in Ägypten Reichtum "um der Sarah willen", während Jahwe den Pharao und sein ganzes Haus mit einer Plage heimsuchte, ebenfalls um Sarahs willen:

Da wurde das Weib in den Palast des Pharao geholt. Dem Abram aber tat er Gutes um ihretwillen: er bekam Schafe, Rinder und Esel, Sklaven und Sklavinnen, Eselinnen und Kamele. Doch Jahwe schlug den Pharao und sein Haus mit schweren Plagen um Sarais, der Frau Abrams, willen (I. Mose 12,16-17)

Die Geschichte von Abram und Saraj wird zweimal wiederholt, in Genesis 20 trat Abraham Sarah dem Abimelech von Gerar ab. Doch warnt ein Engel den Abimelech, Sarah zu berühren. In I. Mose 26 übergab Isaak seine Rebekka an einem Philisterkönig, der ebenfalls Abimelech heisst, ab. Doch dieser sah durch das Fenster den Isaak mit seiner Frau liebkosen und war gewarnt.

In allen drei Versionen geht es um das patriarchale Motiv des rechtmässigen Besitz der Frau. Jeder, der die Ehefrau unbefugterweise berührt, ist des Todes. Doch in der ersten Version geht es nicht um den Besitz Sarahs durch Abram sondern um die Beziehung zwischen Jahwe und Sarah. Diese Struktur entspricht einer matrizentristischen Struktur, in der der Mann nur als Manifestation des numinosen Männlichen erscheint. Und so ist Jahwe der Beschützer Sarahs während Abram als Nutzniesser auf Kosten seiner Frau lebt.

Was bei diesen drei Erzählungen auffällt, ist die Ambivalenz von "Leben und Tod", "Heil und Unheil", die von der Frau ausgeht, und letztlich von dem hinter ihr stehenden Gott. In I. Mose wird die matrizentristische Version, wonach eine Frau im Zentrum steht, die von einem männlichen Gott beschützt wird, patriarchalisch umgedeutet. Es sind zunehmend die Männer, die agieren.

In Zweiter Samuel 6 steht ein urtümlich patriarchales Muster, wonach eine weibliche Gottheit, die uns im Begriff aaron (Lade) überliefert ist, im Zentrum steht, die Heil und Unheil wirkt. Dieses Muster findet sich, wie etwa Bruno Bettelheim zeigt, in Männer-Geheimbünde, wo die rituelle Beschneidung eine wichtige Rolle spielt.

Die Ambivalenz von Heil und Unheil, die von der Lade ausgeht, ist auch sonst im Alten Testament belegt. Während der Deuteronomist den unheilen Charakter der Lade als Kriegsheiligtum betont, kennt der Prophet Jeremia die Lade auch in ihrem Fruchtbarkeitsaspekt:

Wenn ihr euch dann mehrt und fruchtbar werdet im Lande in jenen Tagen, spricht Jahwe, so wird man nicht mehr sagen: Die Lade des Bundes Jahwes! - Sie wird keinem mehr in den Sinn kommen, und man wird ihrer nicht mehr gedenken: Man wird sie nicht vermissen und sie auch nicht wiederherstellen. Alsdann wird man Jerusalem nennen "Thron Jahwes" und es werden dorthin alle Völker zusammenströmen zu dem Namen Jahwes, nach Jerusalem; und sie werden nicht mehr dem Starrsinn ihres bösen Herzens folgen. (Jer. 3,16).

Ich denke, die Gotteslade als Göttin wurde seit den Schriftpropheten ersetzt durch "Jerusalem" personifiziert als Jungfrau. Denn sie garantiert die moralische Integrität der Bewohner und der israelitischen Pilger.

Die Polemik der alttestamentlichen Autoren, die ja auf die Überwindung der Grossen Mutter abzielen, ersetzen die Grosse Mutter durch den weiblichen Geistaspekt in Gestalt der Weisheit und als jungfräuliches Jerusalem, wie Erich Neumann in "die Grosse Mutter" beschreibt.

 

 DIE FRAU AM FENSTER
(ZWEITER SAMUEL 6,16.20-23)

David tanzt vor der Lade

Das Bild stammt aus "Göttinnen, Götter und Gottessymbole" von Othmar Keel und Christoph Uehlinger.

Die Frau am Fenster ist ein bekanntes altorientalisches Motiv. Es zeigt die Liebes- und Fruchtbarkeitsgöttin am Fenster ihres Tempels, der eigentlich ein sakrales Freudenhaus war.

Im Alten Testament gibt es eine Stelle, wonach Königin Isebel mit all ihrem Schmuck und ihren Machtattributen ans Fenster tritt, um dem Usurpator Jehu als rechtmässigen Königin entgegenzutreten. Dieser liess sie jedoch kurzerhand aus dem Fenster werfen (II. Könige 9,30-37).

In unserem Text, Zweiter Samuel 6 steht die Frau Davids und Saulstochter Michal am Fenster.

Erscheint sie damit als Vertreterin der Ladegottheit? Als eigentliche Königin? Aus dem Text geht dies nicht hervor, doch im Vergleich zu Isebel ist das Zweite wahrscheinlich. Auch war das Motiv der "Frau am Fenster" im Alten Orient zu dieser Zeit so allgemein bekannt, dass sie als Vertreterin der Lade- und damit Liebesgöttin durchaus in Frage kommt.

In der jetzigen Version wird sie zur Kritikerin gegen David und seiner Beteiligung am rituellen Aufzug der Lade nach Jerusalem. Sie ist also, wie Ewald Roellenbleck zu recht schreibt, die wahre Jahwe-Anhängerin, denn sie steht in den Fussstapfen der Propheten. Aber eben, sie ist eine Frau und hat hinter dem Manne zu stehen. Ihre moralische Fortschrittlichkeit wird ihr beim Deuteronomisten zum Verhängnis. Ihre weibliche Rebellion, die durchaus im Sinne alttestamentlicher Moral steht, ist aus der Perspektive des Deuteronomisten schlecht und wird mit Kinderlosigkeit bestraft. Das ist Patriarchat, moralische und geistige Überlegenheit wird nur anerkannt, wenn sie von Männern kommt, bei Frauen wird sie bestraft.

Ein berühmtes Beispiel dafür ist, zum Schluss bemerkt, die Erzählung von Eva und der Schlange im Paradies: Sie trachtet nach Weisheit, nach Kenntnis von Gut und Böse, nach Kenntnis von Gott, wie ihr die Schlange verspricht. Dafür wird sie bestraft mit schmerzhaften Geburten und der Unterordnung unter den Mann. Nehmen wir hierzu die Berufung des Mose, der vom gleichen Autor wie die Geschichte von Eva und der Schlange stammt: Da sieht das ganz anders aus: Mose tötet einen Ägypter und floh als Mörder zu einem midianitischen Priester. Dort hütete er die Schafe. Mit seiner Herde kommt er in ein Gebiet jenseits der Wüste. Und ihm erscheint ähnlich wie der Eva ein Feuer- und Schlangengott. Dieser ernennt ihn zum Führer seines Volkes, das sengend und brennend ihren Weg nach Palästina bahnt. Es ist nicht wie bei Eva Weisheit, die Mose mit seinem Schlangengott verbindet, sondern seine Macht- und Habgier, die über Leichen geht.

David tanzt vor der Lade

Letzte Revision: 14.04.2012